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Küstenerosion in der Arktis nährt sich selber

Geschrieben von Dr. Michael Wenger am . Veröffentlicht in Forschung & Umwelt.

Der Verlust arktischer Permafrostböden durch die Erosion der Küste könnte künftig zu einer Verstärkung des Treibhauseffekts führen. Das zeigen Untersuchungen von Sedimentproben aus dem Ochotskischen Meer an der Ostküste Russlands, die AWI-Wissenschaftler analysiert haben. Ein Verlust von Permafrostböden in dieser Region führte zum Ende der letzten Eiszeit gleich mehrfach zu einer plötzlichen Zunahme der Kohlendioxidkonzentration in der Atmosphäre.

In der kanadischen Arktis wurde auf Herschel Island der Rückgang der Küstengebiete in einem Langzeitmessungsprojekt beobachtet. Zwischen 2 – 30 Meter pro Jahr zieht sich die Küste zurück und setzt dabei Methan frei. Nicht zum ersten Mal. Bild: Boris Radosavljevic
In der kanadischen Arktis wurde auf Herschel Island der Rückgang der Küstengebiete in einem Langzeitmessungsprojekt beobachtet. Zwischen 2 – 30 Meter pro Jahr zieht sich die Küste zurück und setzt dabei Methan frei. Nicht zum ersten Mal. Bild: Boris Radosavljevic

Es ist seit langem bekannt, dass Treibhausgase nicht nur direkt durch den Menschen, sondern auch in sich selbst verstärkenden Wechselprozessen in die Atmosphäre gelangen können. Doch viele Fragen sind diesbezüglich noch offen und die Forscher sind weltweit daran, Antworten zu finden. In einem Kollaborationsprojekt hat ein Team des Alfred-Wegener-Instituts AWI und der ETH Zürich und der Universität in Kopenhagen Hinweise gefunden, wie in früheren Zeiten ein ähnliches Phänomen gewirkt hatte. Wie die Autoren im Journal Nature Communications schreiben, konnten sie durch Untersuchungen vor der Küste des Ochotskischen Meeres im Osten Russlands nachweisen, dass vor mehreren Tausend Jahren aus Permafrostböden in der Küstenregion große Mengen an Kohlendioxid freigesetzt wurden – und dass die Ursache dafür der Meeresspiegelanstieg gewesen ist. Die Forschung weiss heute, dass in den vergangenen 20‘000 Jahren dreimal ein deutlicher CO2-Anstieg in der Atmosphäre stattfand. Die Ursache dafür fanden zwei Wissenschaftlerinnen des AWI im Meeresboden des Ochotskischen Meeres, und zwar in dem sie Bodenproben an Bord des Forschungsschiffes „Sonne“ holten.

Mit Hilfe eines riesigen Multicore-Bohrers erhielten die Wissenschaftlerinnen sogenannte Kastenlotproben. Diese riesigen Keile brachten die Ursache ans Tageslicht, warum in verschiedenen Zeitabschnitten die Treibhausgase in der Atmosphäre zugenommen hatten. Bild: André Paul / MARUM
Mit Hilfe eines riesigen Multicore-Bohrers erhielten die Wissenschaftlerinnen sogenannte Kastenlotproben. Diese riesigen Keile brachten die Ursache ans Tageslicht, warum in verschiedenen Zeitabschnitten die Treibhausgase in der Atmosphäre zugenommen hatten. Bild: André Paul / MARUM

Die beiden Geologinnen Dr. Maria Winterfeld und Prof. Dr. Gesine Mollenhauer leiteten die Arbeit. „Ursprünglich hatten wir angenommen, dass damals der riesige Fluss Amur sehr große Mengen pflanzlichen Materials aus dem Hinterland ins Meer getragen hat, das im Wasser von Mikroorganismen zu Kohlendioxid abgebaut worden ist. Wir haben daher Sedimentproben am Grunde des Ochotskischen Meeres genommen und diese untersucht.“ Die Ergebnisse waren überraschend. Tatsächlich konnten die Forscher tief in den Sedimenten Nachweise auf pflanzliche Überreste finden, die sich am Grunde des Meeres abgelagert haben. Diese  waren viele Tausend Jahre älter als die Ablagerungen in der Umgebung. „Damit war klar, dass sie aus sehr altem Permafrostboden stammen mussten, der aus irgendeinem Grund plötzlich aufgetaut war. Besonders viele dieser alten Pflanzenreste wurden vor 11.500, 14.600 und 16.500 Jahren ins Meer gespült. Der Amur jedoch zeigte zu diesen Zeiten keine deutlich erhöhten Abflussraten.“ Gesine Mollenhauer und ihr Team fanden die Lösung beim Blick auf die Veränderung des Meeresspiegels seit der letzten Eiszeit. Insbesondere vor rund 11.500 und 14.600 Jahren kam es durch größeres Abschmelzen der großen Eisschilde an Land zu sogenannten Schmelzwasserpulsen. Zu dieser Zeit stieg der Meeresspiegel innerhalb weniger Jahrhunderte um je bis zu 20 Meter an. „Wir gehen davon aus, dass dadurch die Permafrostküsten am Ochotskischen Meer und rund um den Nordpazifik sehr stark abgetragen wurden. Ein Phänomen, das wir auch heute in der Arktis beobachten.“ Damit gelangten große Mengen Jahrtausende alter Pflanzenreste ins Meer, die teilweise von Bakterien zu Kohlendioxid abgebaut wurden oder sich am Boden des Meeres ablagerten. Gemäss Berechnungen waren die Anteile 25 bzw. 50 Prozent zu den verschiedenen Zeitpunkten. Damit hat das AWI-Team einen Prozess aufgedeckt, der künftig tatsächlich Realität werden könnte. Schon heute bricht die Permafrostküste in der Arktis immer stärker ab, weil es dort immer wärmer wird – an manchen Stellen zieht sich die Küste 20 Meter pro Jahr ins Inland zurück. Gesine Mollenhauer: „Diese Küstenerosion ist nach dem, was wir jetzt herausgefunden haben, eine nennenswerte Größe, die in Klimamodellen bislang aber nicht ausreichend berücksichtigt ist. Solche Effekte sollten künftig unbedingt in die Modelle einfließen.“

Die Untersuchungsresultate stammten aus Material, dass der Fluss Amur in Sibirien vor Jahrtausenden ins Meer geschwemmt hatte. Genau dieser Prozess kann heute wieder auf der Bykovsky-Halbinsel beobachtet werden, wo die Küste enorm schnell wegerodiert. Bild: Guido Grosse
Die Untersuchungsresultate stammten aus Material, dass der Fluss Amur in Sibirien vor Jahrtausenden ins Meer geschwemmt hatte. Genau dieser Prozess kann heute wieder auf der Bykovsky-Halbinsel beobachtet werden, wo die Küste enorm schnell wegerodiert. Bild: Guido Grosse

Quelle: Alfred-Wegener-Institut